Das Rentensystem in der Pfadabhängigkeit

Rentensystem

Derzeit beträgt der Rentenbeitrag 18,6% des Bruttolohns. Grundgenug, um dieses System mal näher anzuschauen. Ist das Rentensystem in einer Pfadabhängigkeit?

Die heutigen Sozialsysteme basieren auf Umlageverfahren. Dies bedeutet, dass die Beiträge unmittelbar zur Finanzierung der Leistungsberechtigten herangezogen werden. In Deutschland sind dies etwa die Rentenversicherung, die Krankenversicherung und die Arbeitslosenversicherung. Im Unterschied zu einem Kapitaldeckungsverfahren werden demnach keine Beiträge angespart, verzinst oder investiert. [1]

Roland Baader sagt über die Sozialsysteme in seinem Buch „Geld, Gold und Gottspieler“ (2005) folgendes:

„Die Sozialsysteme lösen die Disziplin des familiären Zusammenhalts auf. Das „Versicherungssystem“ und Sicherheitsnetz namens Familie ist nicht mehr überlebensnotwendig, wenn kollektive (staatliche) Hängematten bereitstehen. Mit der zerfallenden Institution Familie explodieren die Kosten der sozialen Sicherungen. Zugleich sinkt die Geburtenrate, was die künftigen Kosten der Sozialsysteme für eine überalternde Bevölkerung noch weiter nach oben treibt. Die auf dem aberwitzigen Umlagesystem errichteten Sicherungssysteme, zu finanzieren von immer weniger jüngeren Menschen für immer mehr Alte, Kranke und Hilfsbedürftige, steuern in den Bankrott. Die politisch forcierte „Lösung“ des Problems vermittels unbeschränkter Einwanderung, geht nach hinten los, denn die meiste Zuwanderung erfolgt nicht in die Arbeitsmärkte, sondern in die Sozialsysteme. […] Zugleich führen die endlos steigenden Steuern und Beiträge (zur Finanzierung des wuchernden Sozialstaats) zur Erosion der Eigenvorsorge- und Selbsthilfemöglichkeiten der Bevölkerung; deren Abhängigkeit vom Kollektiv wächst noch mehr.“ – Roland Baader in Geld, Gold und Gottspieler, 2005

Das Rentensystem

Im Folgenden möchte ich näher auf das Rentensystem eingehen, denn dieses System unterscheidet sich von den Kranken- und Arbeitslosenversicherungen dahingehend, dass die Beiträge und die Bedürftigkeit sich zeitlich unterscheiden. Bei der Kranken- und Arbeitslosenversicherung unterstützen die Gesunden und Arbeitenden die Bedürftigen in der Hoffnung, dass diese wieder zu Gesunden und Arbeitenden werden. Die Rentenversicherung unterscheidet sich dahingehend, dass die Jüngeren die Älteren unterstützen, wohlwissend, dass diese nicht wieder zu den Beitragszahlern zurückkehren.

Ist das umlagebasierte Rentensystem Mitverursacher des demographischen Wandels? Verstärkt der demographische Wandel die Parameter des Rentensystems dahingehend, dass dieses wieder den demographischen Wandel verstärkt?

Falls dies nämlich so wäre, so befände sich das umlagebasierte Rentensystem in einer Pfadabhängigkeit. Denn immer weniger Beitragszahler kämen auf viele Beitragsempfänger. Dies würde soweit gehen, bis die Jüngeren von den Beitragssätzen erdrückt werden würden und die Bevölkerung weiter abnehmen würde. Oder aber die Jüngeren würden gegen das System rebellieren, denn eine demokratische Abschaffung oder Umwandlung wäre nahezu nicht möglich, denn die Älteren/die Beitragsempfänger sind in der Mehrheit.

Das Rentensystem hat vier wichtige Parameter:

Den Beitragssatz, das Versorgungsniveau, den Bundeszuschuss und das Renteneintrittsalter. Durch die Veränderungen aufgrund des demographischen Wandels bleiben nun eben diese vier Parameter zur Anpassung des Rentensystems.

Werden diese zugunsten der jüngeren Generationen verringert, so bleibt den Jüngeren mehr Geld für Konsum, eine Familiengründung oder eine eigene Altersvorsorge. Der demographische Wandel wird langsamer oder sogar gestoppt. Die Ansprüche der Jüngeren an die eigene Rentenversicherung werden geringer. Die Älteren kommen jedoch in die Altersarmut.

Werden diese Parameter zugunsten der älteren Generationen erhöht, so bekommen die Älteren eine höhere Rente und die Altersarmut verringert sich. Den Jüngeren bleibt weniger für Konsum, eine Familiengründung oder eine eigene Altersvorsorge. Der demographische Wandel setzt sich fort und die Jüngeren stehen vor einer eigenen Altersarmut.

Betrachten wir zwei Paare

Paar 1 bekommt keine Kinder. Beide arbeiten Vollzeit und zahlen in die Rentenversicherung ein. Sie erhalten dadurch Ansprüche für ihre eigene Rente. Des Weiteren hat das Paar keine Ausgaben für Kinder. Das Problem besteht nun darin, dass niemand geboren wurde, der in Zukunft die Renten von Paar 1 bezahlt. Das Paar 1 hat im Alter jedoch Rentenansprüche oder ist auf eine Rente angewiesen, denn Nachkommen, die unterstützen könnten, gibt es nicht. Paar 1 bekäme nun eine Rente von den Kindern anderer Paare.

Paar 2 bekommt zwei Kinder. Angenommen beide Kinder bleiben gesund und erreichen ihre Lebenserwartung. So bleibt die Demographie des Landes unverändert, denn zwei Personen bekommen zwei Kinder. Nun wäre es durch neue Arbeitsmodelle sicherlich möglich, dass beide Personen Vollzeit arbeiten und sich dadurch Ansprüche für ihre eigene Rente erarbeiten. Zusätzlich hat das Paar Mehrausgaben für ihre Kinder. Das Paar 2 konnte durch die Mehrkosten weniger zurücklegen als Paar 1 und bekommt im Rentenalter eine Rente, die ihre Kinder einzahlen. Das Problem besteht nun darin, dass die beiden Kinder von Paar 2 für vier Rentner (Paar 1 und Paar 2) aufkommen müssen. Zusätzlich würde Paar 2 als Familie gar keine Rentenversicherung benötigen, denn die Kinder könnten die alten Eltern auch selbst finanzieren.

Erkenntnis

Hieraus wird ersichtlich, dass Familien mit einer gesunden Kinderanzahl kein Rentensystem benötigen würden und dass das Rentensystem somit für die Kinderlosen Vorteile auf Kosten der Familien bzw. nächsten Generation mit sich bringt. In einer freiheitlichen Gesellschaft, also ohne Versicherungszwang, stünde jeder Erwachsene in der Eigenverantwortung für das Alter vorzusorgen. Dies könnte er durch die Gründung einer Familie und durch den Aufbau eines Vermögens tun.

Bundespräsident Roman Herzog

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Bundespräsident Roman Herzog schrieb 1996 folgendes:

„Es kann nicht sein, dass ein Ehepaar – bei dem nur der eine ein Leben lang ein Gehalt oder einen Lohn einsteckt – Kinder aufzieht und am Ende nur eine Rente bekommt. Auf der anderen Seite verdienen zwei Ehepartner zwei Renten. Und die Kinder des Paares, das nur eine Rente bekommt, verdienen diese beiden Renten mit. Das ist ein glatter Verfassungsverstoß.“ -Roman Herzog, 1996 [2]

Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof sieht dies ähnlich indem er 1986 sagt:

„Solange sich die Kinderlosen überhaupt nicht am finanziellen Kindesunterhalt beteiligen, gebührt die im Rahmen des Generationenvertrages erbrachte Alterssicherung ausschließlich den Eltern; die übrige Bevölkerung müsste für ihr Alter durch sonstige Vorkehrungen, z. B. eine Lebensversicherung, vorsorgen.“ – Paul Kirchhof, 1986  [2]

Des Weiteren redet Kirchhof vom Diogenes-Paradoxon [3], welches besagt, dass ein freiheitlicher und sozialer Rechtsstaat auf Vorbedingungen angewiesen ist, die er selbst nicht schaffen kann. So sagt er folgendes:

„Dieses Angewiesensein des freiheitlichen Staates auf die Annahme eines Freiheitsangebots durch den Einzelnen gilt auch für die Freiheit von Ehe und Familie. Der Staat baut darauf, dass wir auch in Zukunft viele Kinder haben, die diesen Kulturstaat tragen, dieses Wirtschaftssystem am Leben halten, diese Demokratie mit Inhalt und Gedanken füllen. Dennoch gibt der freiheitliche Staat die Entscheidung für oder gegen die Ehe und die Familie selbstverständlich in die Hand der Berechtigten.“ – Paul Kirchhof, 2005

Ob der demographische Wandel nun vom Rentensystem selbst beeinflusst wird oder nicht, er ist vorhanden und beeinflusst das Rentensystem, sodass dieses vom demographischen Wandel abhängig ist. Aus meiner Sicht widerspricht sich aber die Freiheit des Einzelnen im Bezug einer Familiengründung mit dem Recht auf Ansprüche aus der Rentenversicherung auf Kosten der nächsten Generation.

Ein Generationenvertrag ohne nächste Generation funktioniert nicht

Das aktuelle Rentensystem ist somit in einer Pfadabhängigkeit gefangen in der die jüngeren Generationen für mehr Rentner als bloß für ihre Eltern aufkommen müssen. Diese finanzielle Belastung erschwert die eigene Altersvorsorge durch eine Familiengründung oder den Aufbau eines Vermögens. Ein Kapitaldeckungsverfahren wäre Demographie unabhängig, hätte jedoch keine solidarische Komponente, weil jeder einen individuellen Kapitalstock aufbauen würde. Eine demokratische Änderung am bestehenden System scheint jedoch schwer vorstellbar, denn die Demographie zeigt, dass die Alten in der Mehrheit sind.

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In den ersten Beiträgen hatte ich zunächst eine Utopie für den maximalen Wohlstand hergeleitet und anschließend weitere Erläuterungen zur maximalen Produktivität gegeben. Weitere wichtige Artikel behandeln die Eigenschaften von Pfadabhängigkeiten, Eigenschaften von Technologiekurven und die Vision der Null-Grenzkosten Gesellschaft.

Mit besten Grüßen

Leo Mattes

Quellen und weitere Informationen:

[1] Video über die Unterscheidung zwischen dem Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren

[2] Generationenvertrag mit den Zitaten von Roman Herzog und Paul Kirchhof

[3] Diogenes-Paradoxon

[4] Bundesbank warnt vor Schieflage bei der gesetzlichen Rente