Im letzten Beitrag habe wir die Gesellschaft von der Kultur abgegrenzt. In diesem Beitrag werden wir uns weitere Grenzen und den Horizont anschauen.
Wir hatten gelernt, dass die Gesellschaft immer gegen die Kultur vorgeht, weil die Kultur die Relativität der Grenzen aufzeigt. Um dies zu Verhindern und die Gesellschaft erfolgreich zu verteidigen, wird Künstlern ein Platz innerhalb der Gesellschaft gegeben, damit sie als Produzenten und als Teil der Gesellschaft betrachtet werden können. Museen, die extra als Orte der Kunst erkoren werden, sollen die Kunst nicht vor den Menschen schützen, sondern die Menschen vor der Kunst. Die Menschen vergessen dadurch, dass Kunst und Kultur überall und jederzeit sein kann.
Ernsthafte Opposition und Mangel an Ernsthaftigkeit
Die Kultur in einer Gesellschaft bricht nicht dann wieder aus, wenn sie den herrschenden Regeln widerspricht, rebelliert und das Gegenteil fordert, sondern dann, wenn sie die Regeln komplett ignoriert und das Publikum wieder ins Spiel bringt. Und zwar nicht als Gegner im endlichen/ wettbewerbsorientierten Spiel, sondern als Teil eines unendlichen Spiel, das gespielt werden will. Denn eine Gesellschaft wird nicht durch eine ernsthafte Opposition verwirrt, sondern durch einen Mangel an Ernsthaftigkeit gegenüber den Regeln insgesamt. Eine Kunst, die gegen eine Gesellschaft oder ihre Politik eingesetzt wird, gibt ihren Charakter als unendliches Spiel auf und strebt ein Ende an. Eine solche Kunst ist nicht weniger Propaganda als die Gesellschaft, die ihre Helden mit großer Ernsthaftigkeit verehrt.
Die Gefahr, die durch die Kunst & Kultur für eine Gesellschaft entsteht ist, dass die Regeln oder eine andere gesellschaftliche Aktivität in das unendliche Spiel aufgenommen werden und daher relativ, komisch oder sinnlos erscheinen. So besteht zum Beispiel eine akute Gefahr, dass die Kultur die Sinnlosigkeit eines Kriegs aufzeigt und dass dadurch die Soldaten kein Publikum für ihren Kampf und ihre Ehrungen mehr finden.
Was ist Kunst?
Kunst ist dann Kunst, wenn sie bei den Betrachtern zu einer Erkenntnis gegenüber herrschenden Selbstbeschränkungen führt. Sie verdeutlicht die Relativität bestehender Regeln, fördert die Kreativität und erweitert den Blick über die Grenzen hinaus Richtung Horizont.
Kunst zeigt niemals auf einen Besitz, sondern immer auf Möglichkeiten. Die Kunst ist nicht rückwärtsgewannt und zeigt nicht auf Titel oder eine Vergangenheit. Im Gegenteil, die Kunst öffnet, zeigt nach vorne und beginnt etwas, das nicht beendet werden kann, ebenso wenig, wie man den Horizont erreichen kann.
Künstler können demnach nicht nach bestimmten Regeln ausgebildet werden und man wird kein Künstler, indem man bestimmte Fähigkeiten oder Techniken nachweisen kann. Das Künstlerische und Kreative ist in jedem, der sich auf Überraschungen, neue Kombinationen und Abenteuer vorbereitet und sich öffnet.
Kunst und Unternehmertum
In der Praxeologie hatten wir gelernt, dass man Unternehmertum nicht lernen kann, da ein Unternehmer Chancen sieht, die andere noch nicht gesehen haben. Wir können hier eine Parallele sehen und sagen, dass Unternehmer auch Künstler sind, weil sie mit den vorherrschenden Regeln spielen.
Horizont und Grenzen
Unendliche Spieler haben zwar Regeln, doch vergessen sie nicht, dass die Regeln eine Vereinbarung sind und keine Voraussetzung. Wenn eine Gesellschaft durch ihre Grenzen definiert ist, so ist eine Kultur durch ihren Horizont definiert. Jeder Zug, den eine endlicher Spieler macht, befindet sich innerhalb einer Grenze, und jeder Zug, den ein unendlicher Spieler macht, ist in Richtung Horizont. Jeder Moment eines unendlichen Spiels bietet daher eine neue Vision und eine neue Reihe von Möglichkeiten.
Staat als endliches Spiel
Betrachten wir im Folgenden den Staat. Ein Staat ist ebenfalls durch Grenzen definiert und wenn er keine Feinde hat, so hat er auch keine Grenzen. Um seine Definitionen und Grenzen klar festzuhalten, muss ein Staat die Gefahr für sich selbst anregen, denn ohne Feind kann er nicht bestehen. Unter einer ständigen Kriegsgefahr durch andere Staaten oder andere externe Ursachen, sind die Menschen eines Staates weitaus aufmerksamer und gehorsamer gegenüber den endlichen Strukturen einer Gesellschaft.
Eine Außenpolitik oder ein Krieg stellen somit ein notwendiger Selbstschutz dar, obwohl sie eigentlich für die Selbstdefinition zuständig ist. Wenn nun ein endlicher Spieler gegen eine andere Nation in einen Krieg oder eine Auseinandersetzung antreten will, so ist es der unendliche Spieler, der sich dem Krieg innerhalb einer Nation widersetzt. Endliche Spieler führen Kriege gegen Staaten, weil diese Grenzen gefährden und unendliche Spieler sind gegen Staaten, weil sie Grenzen schaffen und verstärken.
Die Strategie der endlichen Spieler besteht darin den Wettbewerb bzw. die anderen Staaten zu erobern, zu töten und aus dem Spiel zu nehmen. Unendliche Spieler, die Krieg als Konflikt zwischen Staaten verstehen, kommen jedoch zu dem Entschluss, dass Staaten nur Staaten und keine Personen als Feinde haben können. Wir erkennen nun, dass ein Weltstaat oder eine Weltregierung gar nicht möglich ist, da es dann keinen Feind mehr gäbe und die Legitimation fehlen würde. Wir sehen, dass eine Kriegsführung denselben Widerspruch, den jedes endliche Spiel enthält, ebenfalls beinhaltet. Es wird gespielt, um sich selbst zu beenden.
Stärke und Vision
Um die Strategie eines unendlichen Spielers noch einmal zu sagen. Er begegnet mutmaßlichen Feinden nicht mit Macht und Gewalt, sondern mit Stärke und Vision, denn er lebt nicht innerhalb von Grenzen, sondern Richtung Horizont.
Unendliche Spieler benutzen keine Waffen gegen Waffen, sondern nutzen Humor, Überraschungen, Visionen und die Kultur, um den Widerspruch und die Grenzen des endlichen Spiels aufzuzeigen.
Ich freue mich, wenn dir dieser Beitrag gefallen hat und du die Serie weiter verfolgst. Im nächsten Beitrag geht es um „Die Macht der Vergangenheit #7“.
Hier gelangst du nochmal zum vorherigen Artikel „Gesellschaft und Kultur #5„.
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Beste Grüße
Quellen:
James P. Carse – „Finite and Infinite games“ (Buch)