Im letzten Beitrag haben wir die Macht, die Stärke und das Böse betrachtet. In diesem Beitrag werden wir uns mit der Politik, der Gesellschaft und der Kultur beschäftigen.
Politik ist Teil des endlichen Spiels
In der Politik geht es üblicherweise darum die Spielregeln zu definieren nach denen gespielt wird. Das Interesse eines unendlichen Spielers an einer derartigen Politik ist gering, da es ihnen nicht darum geht die Freiheiten innerhalb der Regeln herauszufinden und zu diskutieren, denn dies ist nur eine Freiheit innerhalb des endlichen Spiels. Dem unendlichen Spieler geht es darum zu zeigen, wie frei wir wirklich sind, denn er weiß, dass wir uns die besonderen Grenzen eines endlichen Spiels nur selbst auferlegt haben. Unendliche Spieler erinnern uns daran, dass politische Vorgaben und Regelungen keine Voraussetzungen für unsere Freiheit sind, sondern dass sie aus unseren freien Entscheidungen entstehen.
Politisch sein ohne Politik
Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein unendlicher Spieler politisch entkoppelt ist, sondern vielmehr, dass er politisch ist, ohne eine Politik zu haben. Dies scheint im ersten Moment paradox, doch eine Politik zu haben bedeutet, dass man einer Reihe von Regeln folgt, nach denen man versucht ein gewünschtes Ziel zu erreichen. Was hier mit „politisch sein“ gemeint ist bedeutet, dass man Regeln neu formuliert und hinterfragt, damit die Freiheit, Lebendigkeit und die Veränderung, die für Fortschritt und Überraschungen notwendig sind, aufrechterhalten werden.
Für einen unendlichen Spieler ist die Politik eine Form der Theatralik. Es ist die Aufführung von Rollen vor einem Publikum nach bestimmten Regeln und Vorgaben, dessen letzte Szene den Darstellern im Voraus bekannt ist, denn alle Handlungen werden durchgeplant und nichts wird dem Zufall überlassen. Ein Politiker braucht ein Ziel, einen Feind und eine Agenda, die sein Schlachtplan ist.
Doch bevor man einen Feind haben kann, muss man jemanden anders davon überzeugen, mitzuspielen ebenfalls den Feind zu erkennen. Daher grenzen sich Politiker voneinander ab.
So ist das endliche politische Machtspiel für unendliche Spieler ein Problem, da sie auf der Skala Rechts-Links gar nicht sein wollen, aber ständig danach klassifiziert werden. Das Paradigma des unendlichen Spielers würde eher heißen Freiheit-Unfreiheit und er wäre dabei auf der Seite der Freiheit.
„Der Mensch wird frei geboren, doch überall liegt er in Ketten.“ – Jean-Jacques Rousseau
Was ist eine Gesellschaft?
In ihrem eigenen politischen Engagement unterscheiden unendliche Spieler zwischen Gesellschaft und Kultur. Gesellschaft verstehen sie als die Summe jener Beziehungen, die unter irgendeiner Form öffentlicher Zwänge stehen und Kultur als alles, was wir durch ungerichtete Wahl miteinander tun.
Dabei dürfen wir das Gesellschaftsverständnis nicht mit den Naturgesetzen, den natürlichen Instinkten oder anderen unfreiwilligen Aktivitäten verwechseln, denn die Gesellschaft bleibt Teil unserer freien Wahl, genauso wie wir uns für das endliche Spiel entscheiden können.
Ebenso, wie ein unendliches Spiel nicht in einem endlichen Spiel enthalten sein kann, so kann eine Kultur nicht authentisch sein, wenn sie innerhalb der Grenzen einer Gesellschaft gehalten wird. Natürlich ist es oft die Strategie einer Gesellschaft, eine Kultur als ausschließlich ihre eigene zu initiieren und anzunehmen. Eine Kultur, die so begrenzt ist, kann von der Gesellschaft sogar so verschwenderisch subventioniert und gefördert werden, dass sie den Anschein einer unbefristeten Tätigkeit erweckt, doch in Wahrheit ist die darauf ausgerichtet gesellschaftlichen Interessen zu dienen.
Schulen und Universitäten sind insofern endliche Spiele, da sie denjenigen, die Abschlüsse erhalten, Ranglistenpreise verleihen. Diese Auszeichnungen qualifizieren dann wiederum die Absolventen für den Wettbewerb in noch höheren Spielen. Ebenso werden Medien- und Kunstpreise verliehen, was die Begrenzung und Übernahme der Kunst für gesellschaftliche Interessen aufzeigt.
„Gesellschaftsspiele“
Die Macht der Bürger in einer Gesellschaft wird durch ihre Rangfolge in den gespielten Spielen bestimmt. Dabei bewahrt eine Gesellschaft ihre Erinnerungen an frühere Gewinner. Diese Auszeichnungen und Huldigungen sind für eine gesellschaftliche Ordnung von entscheidender Bedeutung. Große Bürokratien entstehen aus der Notwendigkeit heraus, die zahlreichen Ansprüche der Bürger dieser Gesellschaft zu überprüfen und die Titelträger zu verehren.
Die Macht einer Gesellschaft wird wiederum durch den Sieg über andere Gesellschaften in noch größeren endlichen Spielen bestimmt, wie zum Beispiel in Weltmeisterschaften oder Kriegen. Die wertvollsten Erinnerungen einer Gesellschaft sind meist jene, die entstehen, wenn Helden in siegreichen Kämpfen mit anderen Gesellschaften fallen.
Die Macht in einer Gesellschaft wird somit durch die Macht einer Gesellschaft gegenüber anderen garantiert und gestärkt.
Der Patriotismus in einer oder mehreren seiner vielen Formen (Chauvinismus, Rassismus, Sexismus, Nationalismus, Regionalismus) ist ein Bestandteil aller gesellschaftlichen Spiele. Auch wenn man vorgibt den Patriotismus nicht gegen andere zu richten, sondern die eigene Gruppe/Gesellschaft zu feiern, so besteht dennoch eine Abgrenzung und die internen Regeln werden hochgehalten.
Da Macht von Natur aus patriotisch ist, ist es für endliche Akteure charakteristisch, ein Machtwachstum innerhalb einer Gesellschaft anzustreben, um die Macht einer Gesellschaft zu erhöhen. Es liegt daher im Interesse einer Gesellschaft den Wettbewerb in sich selbst zu fördern und die größtmöglichen Anzahl von Preisen zu ermitteln, denn die Inhaber von Preisen sind diejenigen, die die Gesellschaft als Ganzes am wahrscheinlichsten gegen ihre Konkurrenten verteidigen.
Was ist eine Kultur?
Kultur hingegen ist ein unendliches Spiel. Kultur kennt keine Grenzen. Jeder kann an einer Kultur teilnehmen – überall und jederzeit. Kultur ist das Ergebnis von Sterblichen, die es verachten ihre Freiheit gegen eine Sicherheit, die sie vor Überraschungen schützt, aufzugeben. Sie leben in der Stärke ihrer Vision und meiden die Macht und das Böse, während sie freudig mit den Grenzen spielen.
Die Vorgaben in einer Gesellschaft sind Manifestationen der Macht. Eine Gesellschaft ist theatralisch und verläuft wie ein etabliertes Drehbuch. Wer vom Drehbuch bzw. vom Skript abweicht wird sofort erkannt und bekämpft, denn Abweichungen gelten als unsozial und werden daher von der Gesellschaft unter Sanktionen gestellt. Dies ist leicht zu verstehen, denn würden sich die Personen nicht an die geltenden Regeln der Gesellschaft halten, so würden sich die Regeln ändern und frühere Gewinner würden keine zeremonielle Anerkennung ihrer Titel mehr bekommen und somit ihre Macht verlieren. In Bürokratien geht es daher oftmals nur noch um die Form und die Umgangsformen und weniger um Überraschungen und Inhalte, welche Innovationen hervorbringen.
Es ist eine wichtige Eigenschaft einer Gesellschaft, Änderungen in den Regeln der vielen Spiele zu verhindern. Verfahren wie das genannte Notensystem, die Zulassung von Berufen, die parlamentarische Bestätigung, Preise und Auszeichnungen, offizielle Ernennungen und die Amtseinführung politischer Amtsträger sind Handlungen einer größeren Gesellschaft, die es den Spielern ermöglichen innerhalb der Gesellschaft an den Spielen teilzunehmen.
Das Gegenteil davon ist das Wesen der Kultur, denn wer nur dem Drehbuch einer Gesellschaft folgt und somit nur die Vergangenheit wiederholt, der ist kulturell verarmt.
Die Bedeutung der Vergangenheit
Kulturelle Abweichungen führen uns nicht in die Vergangenheit zurück, sondern setzten das fort, was in der Vergangenheit begonnen und nicht vollendet wurde. Gesellschaftliche Konventionen hingegen verlangen, dass eine abgeschlossene Vergangenheit in der Zukunft wiederholt wird. Eine Gesellschaft hat den Ernst einer Notwendigkeit, während die Kultur mit einer Freunde vor unerwarteten Möglichkeiten lebt.
Wie wir bereits festgestellt haben, kann ein unendliches Spiel nicht wiederholt werden, da es nicht beendet werden kann. Die Unwiederholbarkeit ist ebenso ein Merkmal der Kultur. So wie ein endliches Spiel Regeln hat, so hat ein unendliches Spiel Traditionen. Da die Spielregeln in einem unendlichen Spiel frei vereinbart werden und frei verändert werden können, wird eine kulturelle Tradition sowohl übernommen als auch transformiert.
Für die Identität einer Gesellschaft ist es wichtig, dass sie vergisst nur ein fixes Ergebnis der Kultur zu sein. Die endlichen Spieler müssen möglichst vergessen, dass sie unendliche Spieler sein könnten. Eine Problem eines ernsten endlichen Spielers ist somit, dass er sich wieder daran erinnern und davon überzeugen muss, dass ihm die gesellschaftlichen Grenzen lediglich auferlegt wurden und er diese nicht frei gewählt hat.
Eine effektive Politik der Titelträger, um ihre Macht zu zementieren und auszuweiten, besteht oftmals darin, dass sie versuchen ihre Konkurrenten davon zu überzeugen aufzugeben und sich möglichst dem Publikum für das Theater anzuschließen. Und weil die selbstlimitierten Regeln und Gesetze nur dann wirksam sind, wenn alle davon überzeugt sind, müssen die Titelträger eine Theatralik einbringen, die so engagiert ist, dass ihre übrig gebliebenen Herausforderer und Gegner nach ihrem Drehbuch leben.
Gesellschaft gegen Kultur
Der wichtigste Kampf einer jeden Gesellschaft ist daher nicht der Kampf mit anderen Gesellschaften, sondern der Kampf mit der eigenen Kultur. Konflikte mit anderen Gesellschaften bzw. mit einem externen Feind, sind dabei ein wirksamer Weg für die Gesellschaft die eigene Kultur einzuschränken.
Ich freue mich, wenn dir dieser Beitrag gefallen hat und du die Serie weiter verfolgst. Im nächsten Beitrag geht es um „Definierte Grenzen und weiter Horizont #6“.
Hier gelangst du nochmal zum vorherigen Artikel „Macht, Stärke und das Böse #4„.
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Beste Grüße
Quellen:
James P. Carse – „Finite and Infinite games“ (Buch)